In unserer heutigen Welt werden wir ständig mit Prognosen, Annahmen für die Zukunft, überhäuft. So solltet Ihr mit ihnen umgehen.
Lässt du dir Tarotkarten legen, die Zukunft aus Handlinien lesen oder verfolgst du dein Horoskop? Kaum einer glaubt an den Hokuspokus vergangener Tage. Früher war es Gang und Gebe Sterne, Tierknochen oder irgendwelche Schamanen nach der Zukunft zu befragen. Aber heute? In unserer aufgeklärten Welt? Keine Chance!
Schamanen und Analysten
Nun, das ist so nicht richtig. Der moderne Schamane, die moderne Kartenlegerin heißen heute Analyst, Zukunftsforscherin oder Kapitalmarktexperten. Denen aber vertrauen wir heute genauso wie unserer Vorfahren den Wahrsagern. Warum ist das? Wer profitiert davon? Warum lässt sich die Zukunft nicht vorhersagen? Und was kann man überhaupt machen?
Der Mensch hasst wohl nichts so sehr wie die Ungewissheit. In einer komplexen und ungewissen Welt eigentlich eine denkbar schlechte Eigenschaft. Bereits seit Jahrtausenden versucht der Mensch der Zukunft auf die Spur zu kommen. Früher befragte er Geister, heute mathematische Modelle. Wann immer jemand einen „todsicheren“ Tipp hat, „Megatrends“ voraussieht oder den nahenden Crash heranziehen sieht, gibt es genügend Menschen, die das glauben. Der Mensch sucht Sicherheit und die findet er in diesen Vorhersagen.
Das Problem mit Prognosen
„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieses Zitat wird unterschiedlichen Persönlichkeiten zugeschrieben. Es trifft den Kern. Je weiter eine Prognose in die Zukunft reicht, desto mehr Unsicherheitsfaktoren kommen hinzu. Bereits winzige Änderungen der Annahmen wirken massiv auf das Ergebnis. Beispiele gefällig? Im Jahr 2008 noch kurz vor Ausbruch der weltweiten Finanzkrise weissagten die verschiedenen Wirtschaftsinstitute für das Folgejahr ein ordentliches Wirtschaftswachstum von etwa 2%. Warum? Weil sie die Daten aus der jüngeren als linearen Trend in die Zukunft fortgeschrieben haben. Was war die Realität? 2009 kam es zum dramatischsten Wirtschaftseinbruch der Geschichte der Bundesrepublik von etwa 5%. Statt 50 Milliarden mehr Wirtschaftsleistung gabs 130 Milliarden weniger als im Vorjahr! Oder die Arbeitslosenzahlen: niemand schafft es, immer wieder die Zahlen auch nur für den nächsten Monat richtig „vorherzusagen“! Aber da werden Prognosen aufgestellt, wie viele Menschen in 50 Jahren in Deutschland wohnen oder wie viele Steuern der Staat in 3 Jahren einnimmt.
Crash-Propheten
Derzeit besonders en vogue sind wieder Katastrophenszenarien und Crash-Propheten. Sie füllen Hallen und schreiben Bestseller. Ihre Analysen der gegenwärtigen Situation sind oft korrekt. Die Schlüsse, die sie ziehen, jedoch haltlos. Manche prognostizieren den Crash für 2023, andere früher, andere später. Manche verorten den Beginn in den USA, manche in China und wieder andere irgendwo in Europa. Ihre Lösungen sind oft eindimensional und einfach. Besonders vorsichtig solltest du sein, wenn sie die Lösung gleich noch mit verkaufen. Einige der Crash-Propheten legen eigene Aktienfonds oder Anlageinstrumente auf.
Ein Blick zurück
Wie unsicher Prognosen sind, kannst du leicht überprüfen, wenn du andersrum vorgehst: Blicke 10, 20 oder mal 50 Jahre in die Vergangenheit zurück. Überlege, was von dem, was wir heute als selbstverständlich erachten, man damals noch nicht einmal erahnt hatte?
- 10 Jahre: Smartphones, Fridays for Future, Donald Trump als Präsident
- 20 Jahre: Roboter, die operieren, 11. September, Amazon
- 50 Jahre: Fall der Mauer, eine Frau als Bundeskanzlerin, Computer in jedem Haushalt
Eine solche Liste ließe sich unendlich weiter spinnen. Alle, wirklich ALLE Prognosen, schreiben nur die Gegenwart in die Zukunft fort. Aber so ist die Welt nicht. Sie ist wechselhaft, überraschend, launisch. Die meisten Entdeckungen und Erfindungen sind Zufälle. Sie sind nicht geplant und somit auch nicht planbar. So etwas kann man nicht vorhersagen.
Wer von Prognosen profitiert
Wer aber profitiert nun davon? Zunächst einmal alle, die von Aufmerksamkeit leben: Journalisten, Wissenschaftler, Schriftsteller. Je verrückter oder aber je „wissenschaftlicher“ eine Prognose daher kommt, desto gewisser ist ihr die Aufmerksamkeit. Außerdem lebt eine ganze Industrie von Prognosen: die Finanzindustrie. Da „weiß“ man heute schon, wie die Bevölkerungsstruktur in 50 Jahren aussieht und dass die gesetzliche Rente dann nicht mehr finanzierbar ist. Denn: Deutschland wird immer älter und weniger. Diese Prognose gab es übrigens schon einmal: etwa 1930. Ausgestorben sind die Deutschen bis heute nicht. Wenn man den Leuten aber sagen kann: Deine Rente wird weniger, sorge privat vor! Dann bringt das bares Geld. Dass private Vorsorge wichtig ist, um von einem unberechenbaren Staat unabhängig zu sein und die Versorgung der heutigen Rentner wohl einen historischen Ausnahmefall darstellt, ist unbestritten. Aber doch nicht aus der Tatsache heraus, dass es „ zu viele Alte“ geben wird, sondern aus unterschiedlichen anderen Gründen. Kein Mensch, kein Computer weiß, wie die Bevölkerung in 50 Jahren aussieht und ob und welche Rente es dann geben wird. Es muss nur oft genug wiederholt werden, dass die Leute das Märchen glauben.
Prognosen in der Finanzindustrie
Auch in der Kapitalanlage spielen Prognosen eine wichtige Rolle. Viele verlassen sich auf die Wahrsager in den Bankentürmen und deren Aktienempfehlungen. Diese sind wertlos. Gerd Gigerenzer, deutscher Psychologe und Risikoforscher, hat gemeinsam mit seinen Studenten ein Experiment gewagt: Der Zufall gegen Aktienprofis. Ein Jahr lang haben sie Aktien nach dem Zufallsprinzip Aktien gekauft und verkauft. Dann haben sie ihre eigene Performance mit denen der Profis verglichen. Ergebnis: Der Zufall war besser! Da werden Analysten, Aktienstrategen und co bestens bezahlt (über Gebühren vom Anleger natürlich) und wofür? Für nichts!
So gehst du mit Prognosen um
Was kannst du dagegen machen? Prognosen als das sehen, was sie sind: Meinungsäußerungen. So bezeichnen Rating Agenturen übrigens ihre Prognosen, entscheiden damit über Wohl und Wehe ganzer Staaten und stehen gleichzeitig unter dem Schutz der Verfassung, da die freie Meinungsäußerung ein hohes verfassungsrechtliches Gut ist. Es ist auch nicht korrekt, alle Prognosen zu nehmen und einen Mittelwert zu bilden. Die Realität wird irgendwo anders liegen. Und dabei gilt: je weiter in die Zukunft, desto weiter liegen Prognosen und Realität auseinander. Prognosen sind wie utopische, fantastische Romane: nette Unterhaltung. Wenn jemand sagt: „Es wird so und so kommen!“, bleibe skeptisch!
Aktualisiert am 10.01.2020